8. April 2021
Central Tibetan Administration, www.tibet.net, Phayul, www.phayul.org

Bedeutender tibetischer Gelehrter und Schriftsteller Go Sherab Gyatso in Isolationshaft, Verbleib unbekannt

Chinesische Behörden haben den bedeutenden tibetisch-buddhistischen Gelehrten und Schriftsteller Go Sherab Gyatso, auch bekannt als Gosher, einen Mönch aus Ngaba in der traditionellen Provinz Amdo (chinesische Provinz Sichuan) festgenommen. Der Grund für seine Inhaftierung ist bis jetzt unbekannt.

Offizielle aus der Autonomen Region Tibet (TAR) hatten den 45-jährigen Mönch bereits am 26. Oktober 2020 in Chengdu, Provinz Sichuan, festgenommen. Die Nachricht von Go Sherab Gyatsos willkürlicher Verhaftung wurde erst nach fünf Monaten bekannt, da seine Angehörigen auf seine baldige Freilassung hofften, wenn der Fall keine öffentliche Aufmerksamkeit erregen würde. Diese erfolgte jedoch nicht und es gab auch keinerlei Nachricht über seinen Verbleib und seinen Zustand, weshalb sich viele Leute Sorge um ihn machen.

Go Sherab Gyatso

Der Quelle zufolge warnten die Behörden Gyatsos Familie und Freunde eindringlich davor, irgend etwas über seine Festnahme verlauten zu lassen. Wenn jemand bei dem Versuch, dies zu tun, erwischt würde, so würde dies als ein „Verstoß gegen das Gesetz“ geahndet werden, drohten sie ihnen. Die Behörden üben in den tibetischen Gebieten strenge Kontrolle über die Telefon- und Online-Kommunikation aus, weshalb Nachrichten über Proteste und Festnahmen oftmals erst nach Jahren die Außenwelt erreichen.

Einigen Berichten zufolge wurde Go Sherab Gyatso vom Sicherheitspersonal der TAR festgenommen, obwohl er in der Präfektur Ngaba, also in Sichuan, ansässig ist. Die Gründe hierfür sind unbekannt.

Sherab Gyatso wurde am 9. September 1976 im Dorf Khashul (chin. Kaxiu) in Ngaba geboren. Er wurde schon in jungen Jahren Mönch im Kloster Kirti und setzte später seine Studien in den Klöstern Drepung und Sera in Tibets Hauptstadt Lhasa fort.

Nach Angaben der International Campaign for Tibet hat Go Sherab Gyatso mehrere Bücher über die Philosophie, Tradition und Kultur des tibetischen Buddhismus herausgegeben. Dazu gehören Kommentare zur Autobiographie des tibetisch-buddhistischen Meisters Tsongkhapa, ein Buch der Ratschläge von Sakya Pandita und „Die goldene Oberfläche“ von Gedun Choephel. Er hat auch kritische Abhandlungen über das tibetische klösterliche Bildungssystem geschrieben und die Öffnung der klösterlichen Gemeinschaft gefordert. Seine Schriften waren sowohl in Tibet als auch in der Exilgemeinde sehr populär.

Vor seiner Festnahme im Oktober 2020 führte sein Einsatz für die akademische Freiheit im klösterlichen Bildungswesen zu seiner wiederholten Inhaftierung sowie zur Verbannung aus seinem Kloster. In einem Interview mit einem Studenten der Universität Tibet gibt er an, daß er vom 30. März 1998 bis zum 30. November 2001 der „Reform durch Arbeit“ unterzogen wurde. Im Jahr 2008 - es war um die Zeit der Massenproteste in ganz Tibet - wurde er dann erneut festgenommen und für ein Jahr in Lhasa inhaftiert. Im Jahr 2011 tauchte ein Bericht über seine Verhaftung auf, nachdem ein Mönch des Klosters Kirti in Ngaba einen Selbstverbrennungsprotest  unternommen hatte.

In einem Essay mit dem Titel „Ich muß mich äußern“* wandte sich Sherab Gyatso 2013 gegen eine neue Verordnung des Klosters Kirti, der zufolge alle Schriften und Publikationen vor ihrer Verbreitung von der „Abteilung für Bildungsmanagement“ genehmigt werden müssen. Er legte dar, wie diese Vorschrift die Meinungsfreiheit der jungen Mönche einschränken würde. Die Klosterleitung übte Druck auf die Klostergemeinschaft aus und schließlich mußte er sich „von seinem Kloster trennen“, wie er dem Studenten der Universität Tibet mitteilte. Nach der Ausweisung reiste Gyatso in den Jahren 2013 bis 2016 durch Osttibet, um seine Studien und seine schriftstellerische Tätigkeit in verschiedenen anderen Klöstern fortzusetzen.

Die Politik der chinesischen Regierung zielt allgemein darauf ab, die Bedeutung der tibetischen Religion, Sprache und Kultur herabzusetzen. Tibeter, die sich dieser Politik widersetzen, werden häufig von den chinesischen Behörden ins Visier genommen und verhaftet. Die Isolationshaft von Sherab Gyatso gibt Anlaß zu großer Sorge, insbesondere vor dem Hintergrund der ständigen Anwendung von Folter in den Haftanstalten und Berichten über Todesfälle aufgrund von Folter in chinesischer Haft.

* Siehe High Peaks Pure Earth, 25.6.2013 “I have to speak out”
https://highpeakspureearth.com/i-have-to-speak-out-by-go-sherab-gyatso/